Solo-Theater: Rollenarbeit


Um eine Theaterrolle auf der Bühne zu verkörpern, muss man sich in einen emotionen Zustand oder auch eine andere Gedankenwelt hineinversetzen können. Jede Figur eines Bühnenstücks stellt ein Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte dar.
Die Figur hat bestimmte Bewegungen und eine ganz spezifische Körperlichkeit, d.h. bestimmte Bewegungen, eine eigene Sprechweise, besondere Gesten und Mimiken.
Hat man nur den Text als Vorlage, ist man in der Gestaltung solch einer Figur sehr frei – besonders wenn man selbst der Regisseur ist.

Als Theaterpädagogin arbeite ich mit meinen Teilnehmern viel über körperliche Übungen für die Figuren, über Improvisation in der Rolle und auch mitunter mit Rollenbiographien oder Steckbriefen.

Wenn ich Solo-Theater mache, entsteht der Großteil der Figur schon Monate vorher in meinem Kopf. Ich habe eine Vorstellung, wie sie sich verhalten soll und probiere das dann einfach aus, sobald der Text steht. Ich versuche eine Stimme zu finden, die zum Charakter der Figur passt – und die ich auch lange  durchhalten kann.
Dann widme ich mich der Körperhaltung und den Bewegungen, probiere vor der Kamera aus, wieviel Körperspannung die Figur braucht, wie sie läuft, Hände und Arme und Kopf bewegt.
Die Kamera ist mein bester Freund bei der Rollenarbeit. Denn hier sehe ich, ob ich einfach im Sarah-Schluffi-Modus unterwegs bin und das Schauspiel quasi nur in meinem Kopf stattfindet (was am Anfang meistens der Fall ist) oder ob man wirklich eine andere Figur als mich selbst erkennt.

Mein Mann sagte heute zu mir, dass ich auf der Bühne ganz anders bin als ich selbst.
Das hat mich sehr überrascht, denn ich sehe in den Figuren, die ich mir aussuche, immer einen Persönlichkeitsteil von mir selbst. Wenn ich mir Aufnahmen von den Proben anschaue, sehe ich immer mich – oder Phantasien von mir, wie ich auch sein könnte.
Ich spiele gern Figuren, die mir ganz fremd sind, meist in Gruppenproduktionen. Ich merke aber bei Figuren, die ich mir selbst erschaffe oder aussuche, dass sie immer Teile von mir repräsentieren – seien es Werte, Gedanken, Ideale oder Interessen.
Als ich das meinem Mann entgegnete, meinte er, dass es Teile meines Innenlebens sind, von denen kaum einer weiß ... und sie deshalb auch nicht als "Sarah" (wieder-)erkennt. Das zeigte mir, wie sehr da Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen. Ich hatte immer gedacht, dass es für die Zuschauer geradezu offensichtlich ist, dass die Figur etwas mit mir zu tun hat, ja, dass ich gar keine andere Figur hätte wählen können. Aber das ist wohl nicht der Fall.
Genau das stellt für mich nun einen ganz neuen Reiz dar: Mit meinen Solo-Theater-Stücken offenbare ich somit Persönlichkeitsanteile von mir, die vielen, die mich kennen, (noch) unbekannt sind. Ein interessanter Gedanke ...

Für die Rollenarbeit bedeutet diese Nähe, die ich zu den Figuren empfinde, dass ich mir viele Gedanken über Gemeinsamkeiten und Unterschiede mache. Wo ticken die Figur und ich gleich? Wo sind wir unterschiedlich? Wann handelt die Figur extremer als ich? Und könnte ich das auch?

Beim Solo-Theater arbeite ich selten mit Rollenbiographien. Mir fällt es leichter, mich der Figur und ihren Emotionen über den Körper und die Stimme zu nähern. Aber da hat einfach jeder andere Präferenzen.

Sitzen Bewegungen und Stimme halbwegs, arbeite ich Feinheiten aus. Wo kann ich noch lauter oder leiser werden, mehr Dynamik reinbringen oder mich ruhiger verhalten? Und Schritt für Schritt entstehen auf diese Weise meine Rollen.

Bailey, die Figur des dritten Meeres-Trilogie-Teils, hat weniger mit mir gemeinsam als die vorherigen Figuren. Und sie hat ein Geheimnis, das der Zuschauer nicht erfährt – mir beim Spiel aber vielleicht helfen wird ...

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